Grenzerfahrungen: Ein Bericht von der Projektreise durch Südosteuropa
Grenzen sind eines der Themen, die unseren Freiwilligendienst von Anfang an definitiv sehr geprägt haben. Mit drei Income-Freiwilligen aus Bosnien und Herzegowina und dem Kosovo starteten unsere Grenzprobleme eigentlich schon vor Beginn des gemeinsamen FSJs. Kosovar war der Einzige von ihnen, der die Möglichkeit hatte schon zu Beginn gemeinsam mit Asena, Svenja und Johanna an der Einarbeitung teilzunehmen, während Erleta und Marina noch auf die Bestätigung ihrer Visaanträge warten mussten. Erst ab Mitte August war unser Team mit Erleta vollständig. Für Asena, Svenja und Johanna, die alle in Deutschland aufgewachsen sind, ihren Urlaub meist in EU-Ländern verbracht haben und auch außerhalb der EU nie Konflikte wegen ihrer Ausweisdokumente hatten, kamen diese Probleme im ersten Moment überraschend. Obwohl wir uns darüber bewusst waren, dass deutsche Ausweisdokumente mit vielen Privilegien verbunden sind, war es für uns das erste Mal, dass wir direkt mit diesen Privilegien konfrontiert wurden.
Neben langen Gesprächen in unseren WG-Küchen kamen Grenzen als großes Thema während der Planung für unsere Projektreise durch Südosteuropa auf. Erleta und Kosovar mussten für unseren Aufenthalt in Bosnien und Herzegowina jeweils ein Visum beantragen, was insgesamt drei Besuche bei der bosnischen Botschaft in Berlin mit sich brachte. Die Unsicherheiten, die mit diesem Visum verbunden waren, wirkten sich auch stressig auf die Planung der Projektreise aus, da die beiden ihr Visum erst sechs Tage vor unserem Abflug nach Budapest abholen konnten.
Vier Tage vor dem Start der Reise folgte die nächste Herausforderung, als Johanna bemerkte, dass ihr Reisepass (den sie zum letzten Mal 2008 benutzen musste) mittlerweile nicht mehr gültig war. Nach kurzer Aufregung im Büro und einigen Anrufen bei verschiedenen Botschaften und Grenzbehörden folgte schnell Erleichterung, da ihr Personalausweis für (fast) alle Grenzübergänge trotzdem gültig war.
Vor allem Marina, für die es unvorstellbar ist, ihren Reisepass nicht mindestens einmal im Jahr zu überprüfen, war das Ganze eine noch größere Dummheit als für den Rest des Teams. Das hat uns als Gruppe aber auch noch einmal gezeigt, wie unterschiedlich wir in unserem Leben bisher mit Grenzen umgegangen sind.
Einen Tag vor der Abreise stellten wir fest, dass es ein weiteres Problem wegen der Corona-Reisebeschränkungen geben wird. Für die Einreise nach Serbien ist eine vollständige Impfung oder ein negativer PCR-Test nötig. Da das ganze Team gegen Corona geimpft ist, war das erstmal auch kein Problem. Allerdings ist uns gerade noch rechtzeitig aufgefallen, dass Erletas Impfausweis aus dem Kosovo in Serbien aufgrund der immer noch andauernden politischen Spannungen zwischen den Ländern nicht anerkannt wird. Erleta musste deshalb als Einzige noch kurzfristig einen PCR-Test machen, um am nächsten Tag mit uns fliegen zu können.
Fürs Erste waren alle Hindernisse überwunden und wir konnten mit unserer Reise starten. Auch der erste Grenzübergang von Ungarn nach Serbien verlief besser als erwartet. Trotzdem war die Stimmung im Auto, während wir an der Grenze warteten, eher bedrückt, da es für einige das erste Mal an einer „echten Grenze“ war.
Ein paar Tage später führte unsere Route mit dem Bus von Belgrad (Serbien) nach Tuzla (Bosnien und Herzegowina). Die Stimmung war deutlich besser als bei unserem ersten Grenzübergang, da diese Grenze vor Allem wegen dem extra dafür beantragten Visum, eigentlich kein Problem darstellen sollte. Zwei Stunden später wussten wir es besser, als uns die serbischen Grenzpolizist*innen bei der Ausreise erklärten, dass es für Kosovar und Erleta nicht möglich sei über diese Grenze aus Serbien auszureisen. Die nächsten 10 Minuten standen wir mehr oder weniger planlos mit unseren Koffern dar, bis uns glücklicherweise ein Reisebus zurück nach Belgrad mitnehmen konnte. Dass wir in ein Land einreisen können, anschließend aber nichtmehr zusammen ausreisen dürfen, war ein Problem, mit dem wir so nicht gerechnet hatten.
Um dennoch zusammen mit Kosovar und Erleta nach Tuzla und anschließend Sarajevo zu kommen, mussten wir am nächsten Tag einen Bus über Kroatien nehmen und auch in diesem Bus waren die Fahrer eher skeptisch und sich unsicher, ob dieser Grenzübergang für uns funktionieren würde.
Während unseres Aufenthalts in Sarajevo waren deshalb alle fleißig damit beschäftigt, die Regelungen für alle weiteren Grenzübergänge zu kontrollieren. Tatsächlich mussten wir unsere Route erneut ändern, da unser ursprünglicher Plan für die Weiterfahrt nach Pristina (Kosovo) erneut über Serbien geführt hätte. Die einzige Möglichkeit, zusammen als Gruppe zu reisen, bedeutete einen Umweg über Montenegro und Albanien und einen Tag weniger in Sarajevo. Im Endeffekt war diese Änderung eher eine Bereicherung, da weder Montenegro noch Albanien Teil unserer eigentlichen Route gewesen waren und wir somit die Möglichkeit hatten, einen Tag lang die wunderschönen Landschaften zumindest vom Bus aus zu genießen. Obwohl diese Strecke vorher gut durchdacht war, kam es auch hier bei der Einreise in den Kosovo zu einem kleinen Zwischenfall. Marina konnte mit ihrem bosnischen Pass trotz Schengenvisum und einem Einladungsschreiben unserer Partnerorganisation SHL Kosova nicht über die Grenze. Da sich die Grenzpolizei aber anscheinend, ähnlich wie wir, unsicher war, welche Dokumente denn noch nötig sein sollten, um einreisen zu dürfen, konnten wir schließlich doch weiterfahren.
Eine letzte Grenze stand uns gegen Ende der Reise in Richtung Skopje (Nordmazedonien) noch bevor. Die Erfahrungen der letzten zehn Tage hatten uns gezeigt, dass ein Grenzübergang für den geplanten Verlauf der Reise immer ein Risiko darstellt und wir nie alle Eventualitäten mit einkalkulieren können. Deshalb war es eher ein spannendes Experiment, wie und ob wir es gemeinsam nach Skopje schaffen würden. Wieder hatten wir Glück und konnten trotz Johannas mittlerweile auch abgelaufenen Personalausweises einreisen. Trotz eines eher mäßigen Hostels und zwei kranken Gruppenmitgliedern war die allgemeine Stimmung in Skopje sehr entspannt, da wir wussten, dass wir in nächster Zeit nicht mehr vor einer Grenze festsitzen würden.
Besonders im Gedächtnis geblieben ist uns allen, dass die Grenzpolizist*innen an allen Grenzen sehr freundlich mit uns umgegangen sind und ihr Bestes gegeben haben, um eine Lösung für unsere Probleme zu finden. Oft hat man ihnen angemerkt, dass sie uns gerne einfach ein- bzw. ausreisen lassen würden, wenn sie die Erlaubnis gehabt hätten.
Alles in allem hatten wir jedoch auch einfach sehr viel Glück und konnten mit mal mehr und mal weniger Humor all diese Herausforderungen als Team meistern. Besonders Asena, Johanna und Svenja konnten durch diese Erfahrungen lernen und auch zu einem gewissen Teil miterleben, wie groß die Macht ist, die eine Grenze auf das Leben ausüben kann.
Viele Grüße,
euer Freiwilligen-Team aus Neumünster